Narzissmus und Selbstzerstörung – die zwei Seiten von Populismus, Radikalisierung, Trumpismus und Fakenews

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Wir leben in sonderbaren Zeiten. Es ist es schwer zu entschlüsseln, was genau grade in der Welt passiert und nach welchen geheimen inneren Gesetzmäßigkeiten Phänomene wie der europäische Vormarsch der Rechts-Populisten, der Brexit, Trumps Wahl oder die Rekrutierung europäischer Jugendlicher für Salafismus und IS ablaufen. Und dennoch scheint es einen gemeinsamen Nenner hinter diesen Phänomenen zu geben: das irritierende Zusammenfallen von Narzissmus und Selbstdestruktion.

Betrachtet man den Narzissmus als Selbstüberhöhung, Egozentrik und fehlende Empathie, so finden sich auffällige Parallelen zu Gesellschaft und Politik.

Vor allem Trump scheint in diesem Lichte betrachtet ein personifizierter Narzisst zu sein (seine Art zu sprechen und Entscheidungen zu treffen, sein kategorisches Freund/Feind-Denken, die Art, wie er mit Mitmenschen umgeht, und seine Körpersprache machen ihn geradezu zu der Karikatur eines Narzissten). Auch auf kollektiver Ebene adressiert er konsequent den Narzissmus: mit der Parole “Make America great again” bietet er ein Identifikationsfeld von kollektiver Grandiosität. Diese Vision einer nationalen Großartigkeit verknüpft er gekonnt wieder mit seiner eigenen Person – so zum Beispiel, indem er konsequent bei Hindernissen gegen seine persönlichen Wünschen und Interessen behauptet, “this is against America’s interests”.  Damit macht er sich zu einer modernen Verkörperung des Satzes “L’État, c’est moi”, der einst den Absolutismus prägte.

Marine Le Pens Beschwörung der “Grande Nation” adressiert ebenso national-kollektive Grandiosität wie Trumps “America first”. Die Brexit-Kampagne arbeitet mit demselben Subtext (“zuerst kommen wir und unsere Interessen”), mit dem europaweit Rechtspopulisten das exklusive Wohlhabens-Recht für ihr jeweiliges Land einfordern. Die Phase des “Land x über alles” glaubten wir eigentlich mit dem europäischen Gedanken überwunden zu haben.

Zwei Seiten einer Medaille

Ist Narzissmus nicht ein Widerspruch zu Selbstdestruktion? Offenbar nicht. Tatsächlich taucht derzeit beides gleichzeitig auf. Evident ist das vor allem bei den radikalisierten jungen Menschen, die sich auf Europas Plätzen als Selbstmordattentäter in die Luft sprengen – für die Aussicht, zu unsterblichen grandiosen Helden zu werden. Im Falle des Brexits ist es weniger augenscheinlich, aber auch dort gab es selbstdestruktive Tendenzen: “Warum sollten die Briten aus der EU austreten?, dachten im Vorfeld viele – Cameron selbst auch. “Es wäre doch gegen ihre Interessen!” Genau so war es, aber sie taten es trotzdem.

Auch dass Amerika wirklich Trump gewählt hat, ist für viele nach wie vor unbegreiflich. Menschen, denen ich vertraue, sagten mir noch Wochen vorher, dass Amerika niemals Trump wählen würde, weil sich seine Agenda gegen die Interessen viel zu vieler Wählergruppen richtete: Frauen, Hispanics, von Armut betroffene ebenso wie Menschen, die Versorgung und Krankenversicherung brauchen. Und dennoch haben auch viele von diesen gegen ihre eigenen Interessen gewählt. Warum?

Wo Narzissmus und Selbstschädigung sich treffen

All diese Erscheinungen entfalten eine destruktive Kraft. Sie spalten die Gesellschaften, sie wirken toxisch. Was steckt dahinter? Psychologen wissen, dass hinter der Grandiosität eines jeden Narzissten nicht eine Stärke steht, sondern eine im Inneren empfundene Schwäche.
Und genau dort berühren sich Narzissmus und Selbstschädigung.

Wir müssen uns fragen, worauf Trump die Antwort ist – welches Bedürfnis die Rechtspopulisten, die Marine Le Pens und Brexitbefürworter erfüllen. Wollen wir diesem Bedürfnis eine Sprache verleihen, so würde es sicherlich lauten: “Bitte! Lass mich mich wieder groß fühlen! Gib mir wieder das Gefühl von Kontrolle!” Sogar wenn es gegen meine Interessen ist.

Der Slogan der Brexit-Kampagne lautete “Take Back Control”. Selbstschädliche Wahlentscheidungen sind also der Preis, den die Menschen für den Eindruck von Stärke und Kontrolle zu zahlen bereit sind. Das sollte uns sorgen.

Wir brauchen neue Kulturtechniken

Alle unsere gesellschaftlichen und soziokulturellen Vereinbarungen basieren auf der Grundannahme, dass niemand gegen seine Interessen handelt. Wir haben als Gesellschaft keine Antwort auf Attentäter, denen es egal ist, ob sie sterben. Wir haben als Demokratie keine Antwort auf Wähler, denen die Fakten egal sind. Wir haben keine Umgangsformen für eine postfaktische Demokratie. Wir müssen alles neu überdenken, was wir über Wahlen, politische Beteiligungs- und Entscheidungsprozesse gedacht haben. Wir müssen überprüfen, ob unsere Grundannahmen noch stimmen.

Und wir müssen darauf schnell eine Antwort finden.

Das Gegengift: eine resiliente digitale Gesellschaft

Wie konnte es soweit kommen, dass die Menschen soviel Schwäche und Kontrollverlust empfinden? Was ist da falsch gelaufen? Wir haben viel zu lange die Frage außer Acht gelassen, was uns als Gesellschaft zusammenhält. Das müssen wir nachholen. Indem wir sehr schnell – am besten im Zeitraffer – dazulernen und das Verpasste nachholen.

Eine resiliente digitale Gesellschaft entsteht nicht von selbst. Sie wird nicht automatisch mit dem technologischen Fortschritt mitgeliefert. Wir müssen sie uns erringen, erarbeiten, aufbauen. Wir müssen unsere digitale Gesellschaft gestalten.

Unsere westlichen Gesellschaften scheinen eher narzisstische, toxische Verhaltensweisen zu fördern. Rücksichtslosigkeit, fehlende Empathie, Neid und Gier wirken wie akzeptable, legitime Mittel im Wettbewerb um Vorteile. “Unterm Strich zähl ich”, fasste das der Werbeslogan der Postbank [1] konsequent  zusammen.
Wollen wir das so? Solidarität, Mitgefühl [2], Souveränität und Kooperation wären dagegen notwendig, um eine Gesellschaft zusammenzuhalten und sie stark zu machen für die Veränderungen und Disruptionen der Zukunft.

Eine resiliente Gesellschaft besteht aus mündigen, selbstsicheren, vertrauensvollen Bürgern, die sich auch angesichts einer digitalen, dynamischen und global vernetzten Welt noch handlungsfähig und aufgehoben fühlen. Resilienz bedeutet auch, mit Veränderungen konstruktiv umgehen zu können und sich sicher in Gemeinschaften einbinden zu können und sich eingebunden zu fühlen. Dabei kann auch der digitale Raum helfen.

Technischer Fortschritt, Digitalisierung und Globalisierung sind für uns große Chancen – aber sie sind auch eine große Herausforderung, die mit viel Veränderung, Verunsicherung und Ängsten verbunden ist. Es wäre fahrlässig, die soziokulturellen und sozio-emotionalen Nebenwirkungen dieser Entwicklungen außer Acht zu lassen. Es ist Zeit, den digitalen Fortschritt soziokulturell zu flankieren und zu begleiten. Wir haben gute Traditionen, auf die wir dabei zurückgreifen können. Der Geist der Aufklärung, die Menschenrechte und die gute alte Demokratie sind es wert, dass wir ihnen auch und gerade in einer digitalen Gesellschaft einen guten Nährboden bereiten.

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Mehr lesen?

Mein Beitrag zu “Bindung, Identität, Glück”: http://slow-media-institut.net/bindung-identitat-gluck

Mein Kollege Jörg Blumtritt über Fakenews, Hatespeech und warum 2017 das Jahr der Slow Media wird: http://www.slow-media.net/w-htm

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[1] Der Claim “Unterm Strich zähl ich” wurde kurz vor Ausbruch der Finanzkrise eingeführt und erst  nach sechs Jahren abgelöst.

[2] Arno Grün, der erst kürzlich 92-jährig starb, warnte vor der toxischen Wirkung empathieloser Gesellschaften. Erst die Fähigkeit des Mitgefühls mache uns zu Menschen.

 

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