Das Slow Media Institut – Medienkompetenz in digitalen Zeiten
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Das Interview wurde von Anja Kaup (ICOM) geführt. Hier ist der Link zur Originalquelle.
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Das Slow Media Institut mit Sitz in Bonn steht für interdisziplinäre Forschung und Beratung zum Medienwandel. Ziel ist, angemessene Reaktionen auf die Medienrevolution im 21. Jahrhundert zu entwickeln – sie politisch, kulturell und gesellschaftlich zu integrieren und konstruktiv zu nutzen. Dazu bieten die drei Gründer, Sabria David, Jörg Blumtritt und Benedikt Köhler, Seminare und Workshops für Unternehmen an und gehen Forschungsfragen nach. Das Institut war 2012 Partner des Wissenschaftsjahrs zum Thema Nachhaltigkeit.
Sabria David nahm sich Zeit für ein ausführliches Interview mit uns. Sie ist geschäftsführende Gesellschafterin der von ihr 2000 mitgegründeten Kommunikationsagentur TEXT_RAUM, die Unternehmen und Institutionen berät und Markennamen, neue Erzählformen und Digitalstrategien entwickelt. Sie studierte Germanistik, Linguistik und Kunstgeschichte und forscht zu Phänomenen des Medienwandels, publiziert und verknüpft Kommunikationslehre, Kulturgeschichte, Philosophie, Managementtheorien und Wirtschaftsethik.
Sabria David, Mitgründerin und Leiterin des Slow Media Instituts
ICOM: Frau David, Sie vergleichen Slow Media auf Ihrer Webseite mit Slow Food. Worum geht es bei Slow Media und worin liegt die Analogie?
Sabria David: „Slow Food“ entstand als Gegenbewegung zu „Fast Food“. Slow Food zielt auf die Haltung ab, mit der man dem Essen begegnet. Es geht nicht um Geschwindigkeit – also z.B. eine Gurke besonders langsam zu schneiden. Slow Food richtet sich gegen die maschinistische Produktion von Essen ohne Bindung, ohne Bezug, es ist Teil einer ganzheitlichen Geschichte, eine bewusste Haltung in der Nutzung und Produktion von Lebensmitteln. Außerdem geht es bei Slow Food um das Zubereiten und Teilen, das gemeinsame Essen – also um einen sozialen Aspekt.
Diese Grundhaltung ist die Analogie zu Slow Media. In „Slow“ steckt eine verantwortliche, ganzheitliche Haltung – auch bei der Nutzung von Medien. Man sollte die Geschwindigkeit, die die neuen Medien ermöglichen, bewusst nutzen, wenn es sinnvoll ist. Zwischen zwei roten Ampeln Gas zu geben ist zum Beispiel nur bedingt sinnvoll. Man sollte beim Fahren besser immer die ganze Strecke im Blick haben.
ICOM: Was führte zur Gründung des Slow Media Instituts? Und worin bestehen die Aufgaben Ihres Instituts?
David: Vor drei Jahren verfassten Benedikt Köhler, Jörg Blumtritt und ich das „Slow Media Manifest“. Die globale Resonanz darauf war riesig. Schon am ersten Tag der Veröffentlichung kam die Bitte, es auf Englisch zu übersetzen. Nach zwei Wochen war es bereits auf Französisch übersetzt worden. Es gibt auch eine russische, ukrainische, italienische und brasilianische Übersetzung. Wir schienen einen neuralgischen Punkt getroffen zu haben. Die Rückverfolgung der Backlinks zeigte, dass das Manifest v.a. von den technisch weit entwickelten Ländern auf der Nordhalbkugel aufgenommen wurde, in Nordamerika, Kanada, China, Russland, Europa, Türkei, Israel, China, Indien, aber auch Brasilien, Südafrika und Australien. Alles technologisch fortgeschrittene Länder, die sich fragen, wie man diesen Fortschritt sinnvoll integriert. Das Manifest erfuhr eine starke Resonanz über alle Kulturen hinweg.
Wir sahen daher einen Bedarf, diesen Prozess der Integration zu unterstützen: Wie kann man technologischen Fortschritt sinnvoll nutzen, ohne dass er die Menschen überlastet? Es lohnte sich, an dieser Stelle weiter zu forschen und Unterstützung in Form von Beratung und Seminaren anzubieten. Das war der Grundstein des Slow Media Instituts.
ICOM: Was hat Slow Media mit den Sozialen Medien zu tun?
David: Es geht um die Frage, wie man die Sozialen Medien nutzt und wofür. Bei Kommunikation geht es um Bindung, Bezug und Identität. Wie kann man „anschlussfähig“ sein und wie „bindungswillig“ sind z.B. die Mitarbeiter. Die Sozialen Medien sind ein sehr gutes Instrument, sie stellen Strukturen und Techniken zur Verfügung, die geeignet sind, diese Bedürfnisse zu erfüllen. Aber die Schwelle zur Übernutzung ist schnell erreicht.
Für den Bereich des betrieblichen Gesundheitsmanagements haben wir ein Modell zum digitalen Arbeitsschutz entwickelt: das „Interaktionsmodell Digitaler Arbeitsschutz“ (IDA). Wenn keiner mehr aus dem ganzen „Rauschen“ das Wichtige oder für ihn Relevante rausfiltern kann, ist es Zeit für digitalen Arbeitsschutz.
Wie das mediale Klima in Unternehmen verbessert werden kann, ist eine Frage, die alle Branchen betrifft, Großunternehmen und den Mittelstand. Studien von AOK, BKK und der Stressreport des Arbeitsministeriums nennen drei Gründe für die Überlastung von Mitarbeitern: Flexibilisierung, Grenzaufhebung zwischen Arbeit und Freizeit und ständige Erreichbarkeit
In unserem Modell gibt es drei Ebenen. Verantwortliches, gesunderhaltendes Handeln kann auf diesen drei Ebenen auf das Unternehmen einwirken:
1. Individuelle Nutzung
2. Absprache auf Teamebene
3. Führungsebene
Wenn alle drei Ebenen zusammen wirken, kann ich ein gutes Arbeitsklima erreichen. Im Sinne von Slow Media brauche ich Phasen der Fokussierung und Versenkung. Ein Mitarbeiter braucht diese Phasen, um konzentriert eine Aufgabe bearbeiten zu können. Die Konzentration auf eine Sache liegt im Nutzungsverhalten des Einzelnen, also auf der ersten Ebene. Auf der zweiten Ebene ist es sinnvoll, das mit dem Team abzusprechen und auf der dritten Ebene benötigt es die Rückendeckung der Führung.
Für ein gesunderhaltendes Führungs- und Kommunikationsklima sind Vertretungsregelungen und klare Absprachen wichtig. Diese Dinge sind in der Gesellschaft aber noch nicht ganz durchdacht worden. Wir haben noch keine Kulturtechnik dafür entwickelt, dass die neue Technik „immer an“ ist, immer funktioniert. Wir müssen den Fokus stärker auf unser verantwortliches Handeln legen, auf reflektierte statt reflexhafte Nutzung.
ICOM: Sie bieten Seminare und Workshops für Unternehmen an zu Themen wie „Web 2.0 und Improvisation: Einführung in eine neue Kommunikationskultur“ oder „Entschleunigung am Arbeitsplatz – Slow Media als Burnout-Prävention“ und „Entschleunigung als Führungsaufgabe“. Welche Erfahrungen machen Sie in diesen Seminaren?
David: Die Erfahrung die ich mache ist die, dass sich im Umgang mit den Medien in einem Unternehmen die gesamte Unternehmenskultur abbildet. Er wirkt wie ein Brennglas auf den Aspekt des Arbeitens, daher kann man hier fokussiert auf den drei Ebenen ansetzen.
Betrachten wir die individuelle Nutzerrolle, die klar gemacht werden muss. Die gelernte Kulturtechnik beim Medium Brief lautet: bei Eintreffen Brief öffnen, lesen und bearbeiten. Das ist für das Medium Brief eine adäquate, gelernte Kulturtechnik, da die Briefe einmal morgens eintreffen.
Beim Medium E-Mail wird die gleiche Kulturtechnik angewandt. Aber die E-Mail kommt nicht nur morgens, sondern ständig. So kommt man nicht mehr zum konzentrierten Arbeiten. Man muss mit E-Mails anders umgehen als mit Briefen.
Ein Wiki oder ein gut strukturiertes Intranet können gegen diese E-Mail-Flut helfen. Noch ist die E-Mail aber der Regelfall und es gibt eine große Scheu vor diesen neuen Techniken. Dabei wäre es für alle sinnvoller, diese kollaborativen Tools besser zu nutzen.
Eine interne Studie beim französischen Unternehmen Atos zeigte, dass sich die Mitarbeiter 25 Stunden wöchentlich nur mit dem Abarbeiten von E-Mails beschäftigen. Daher hatte sich das Unternehmen entschlossen, interne E-Mails abzuschaffen. Ich bin gespannt, wie sich dieses Projekt entwickelt. [Anmerkung: Wir berichteten dazu in unserem ICOM-Blogbeitrag „Befreiung der Mitarbeiter oder das Ende der E-Mail“]
Die E-Mail verleitet dazu, sie reflexhaft zu nutzen, weil es so einfach und leicht ist, sie weiterzuleiten. Dieses reflexhafte Weiterleiten, noch dazu an möglichst viele Leute in cc: ist aber nicht sinnvoll. Besser wäre es, erst einmal inne zu halten und zu überlegen, wer welche Information wirklich braucht und ob es besser wäre, noch einen Tag mit der Weiterleitung zu warten, bis weitere, relevante Informationen zusammengekommen sind.
Ein Drittel der E-Mails lassen sich ohne Verlust einsparen. Diese neue Nutzungskompetenz lässt sich durch Weiterbildung lernen.
ICOM: Bekommen Sie Rückmeldungen von den Teilnehmern? Lässt sich „Slow Media“ im Unternehmensalltag leben, wenn man weiß, wie?
David: Als individueller Nutzer kann man viel verändern, wie man mediale Signale empfängt und weiterleitet und auch auf Teamebene lässt sich viel vereinbaren. Und Führungskräfte haben einen großen Einfluss auf das mediale Klima eines Unternehmens.
An dieser Stelle sind natürlich Begleitstudien sinnvoll, um den Prozess steuern und optimieren zu können. Wir haben einen Zertifizierungsprozess in Planung, um im Bereich digitaler Arbeitsschutz auditierbare Standards zu setzen. Als Unternehmen kann ich mich auch fragen, wo ich dieses Thema im Unternehmen sichtbar werden lassen kann.
Unternehmen wie VW und Daimler haben z.B. neue Regeln als Unternehmen gesetzt. Bei VW gilt, dass am Wochenende keine E-Mails mehr rausgeschickt werden. Bei Daimler dürfen die E-Mails gelöscht werden, die während des Urlaubs ankommen. Dafür werden aber klare Vertretungsregelungen benötigt.
Ich stelle in meinen Seminaren fest, dass es wenig klare Vereinbarungen gibt. Bei einem Diensthandy ist oft nicht klar geregelt, was das Unternehmen von seinem Mitarbeiter erwartet. Es gibt Mitarbeiter, die in ihrer Freizeit gut abschalten können, andere Mitarbeiter schauen aber auch in ihrer Freizeit immer wieder nach, was im Unternehmen passiert.
Vor allem das Smartphone ist eine ganz frische Technologie. Erst 2007 kam das erste marktfähige iphone auf den Markt. Heute haben wir bereits weltweit eine Milliarde Smartphone-Benutzer. Da ist klar, dass wir die Nutzung noch nicht gelernt haben.
ICOM: Was halten Sie in diesem Zusammenhang von Entwicklungen wie z.B. dem Klout-Wert?
David: Das kann eine große Falle sein. Es muss klar sein, dass das Revier in ungeahntem Ausmaß ausgeweitet wurde. Selbst in Unternehmen, die von einer starken Präsenzkultur gekennzeichnet sind und sich Erfolg in besonders langen Arbeitstagen ausdrückt, kann man irgendwann nach Hause gehen – im Bewusstsein, sein Revier verteidigt zu haben. Aber das digitale Revier ist nie zu Ende. Ich habe dafür den Begriff „Revierstress“ eingeführt. Dem muss man sich selbst entziehen und das verlangt eine hohe Souveranität.
Das Thema Medienkompetenz ist auch bei jungen Leuten ein großes Thema. Hier herrscht ein großer Druck, das soziale Revier im Auge zu behalten. Mein Wunsch wäre, von Schulen zu diesem Thema eingeladen zu werden.
Im Mediendiskurs nehmen wir eine Position zwischen Alarmismus (wir und unsere Kinder verdummen durch das Internet) und den Apologeten ein (das Internet ist die Lösung für alles).
ICOM: Wenn wir nach den Rezensenten jetzt auf die „Produzenten“ von Informationen blicken – auf welche Qualitätskriterien können/sollten Mitarbeiter der Internen Kommunikation bei der Produktion von Medien Ihrer Meinung nach achten?
David: Die Produzenten in der Internen Kommunikation sollten sich immer bewusst machen, dass sie zu einem Gegenüber sprechen, bzw. Teil eines Gesprächs sind, bei dem es um Innovation, Inspiration und Improvisation geht. Man darf sich nicht nur als Produzenten von Informationen sehen, sondern lieber als jemanden, der einen Ball in die Luft wirft, sieht was zurück kommt und dann wieder entsprechende Informationen beisteuert. Um das Informationsrauschen zu filtern muss man sich selbst als guten Filter verstehen und sich bewusst darüber sein, dass man mit seinem Handeln etwas bei anderen verursacht. Informationen müssen also so produziert werden, dass sie Nutzen und kein Rauschen bringen.
Die Rolle der Internen Kommunikation ändert sich, sie entwickelt sich weg davon, nur Informationen zu liefern. Interne Kommunikation ist der soziale Kitt, der die Mitarbeiter einbindet und sie als Teil des Ganzen fühlen lässt.
Um alle Mitarbeiter einbinden zu können, werden die unterschiedlichen Kulturkonzepte noch eine Zeitlang parallel laufen. Mitarbeiterzeitungen, Wandzeitungen oder Schwarze Bretter können gerade im digitalen Zeitalter ein wichtiger Gegenpart sein. Die Medien müssen nur zueinander passen und gut abgestimmt sein.
Besonders wichtig ist, dass man bei den Sozialen Medien das Verpassen lernt. Bisher verlangt die Unternehmenskultur, dass jeder alles mitbekommen muss. Mit dieser Haltung kann man kein Soziales Netzwerk einführen. Soziale Netzwerke sind keine Memos, die jeder gelesen haben muss. Das muss klar sein. Besser ist es, diese als Archiv zu sehen. Die neuen Medien stoßen oft auf Befremden, weil sich Mitarbeiter genötigt fühlen, „das auch noch zu machen“.
ICOM: Als Ausblick: welche Ihrer Forschungsfragen beschäftigt Sie zur Zeit am meisten?
David: Wir bearbeiten Forschungsfragen in Kooperation mit Instituten und Unternehmen. Die Themen, die wir auf unserer Seite veröffentlicht haben, sind Themen, die nahe liegen, sinnvoll und denkbar sind.
Für mich ist das Thema Digitaler Arbeitsschutz gerade das wichtigste Thema. Dieses Thema ist für Unternehmen, Kranken- und Unfallkassen, Betriebsräte und Betriebsärzte interessant.
Das andere Thema ist, wie wir als Gesellschaft mit diesen Veränderungen umgehen können. Ich forsche zu offenen Systemen und offenen Formaten, die die Antwort auf den permanenten Wandel sind. Wikipedia ist z.B. die Antwort auf den schnellen Wandel, der gedruckte Lexika gleich veralten lässt. Das Daimler Blog von Uwe Knaus ist ein dynamisches, diskursives Format, das erste Corporate Blog eines DAX30 Unternehmens, das reaktionsschnell aktuelle Entwicklungen und Diskurse abbilden kann und eine nachhaltige Resonanz der Unternehmenskultur ist.
ICOM: Frau David, wir bedanken uns ganz herzlich, dass Sie sich Zeit für dieses Gespräch genommen haben und wünschen Ihnen bei Ihren weiteren Forschungen viel Erfolg!
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